Kann man einen Geist lieben?

Geisterzeilen - Janina Ebert

Ein ganz normales 16-jähriges Mädchen wird unverhofft zur Muse und zum Sprachrohr verschiedener Geister, die ihre Hand führen und so ihre literarischen Werke zu Papier bringen. Das hat seine Vorteile (in Deutsch und Geschichte waren ihre Noten noch nie so gut), macht ihr aber auch manchmal Angst - aber dann bringt einer der Geister ihr Herz aus ganz anderen Gründen zum Klopfen...

 

"Geisterzeilen" ist in meinen Augen eine originelle, frische, unterhaltsame Mischung aus Geistergeschichte und Jugendbuch. Oft witzig, manchmal gruselig, immer wieder rührend...

 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Helena, und die ist ein typischer Teenager - himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt erlebt sie alles ganz intensiv. Mit der Schule hat sie nichts am Hut und ihre Noten sind eher unterer Durchschnitt, denn alles ist wichtiger: am Anfang vor allen, dass ihr Freund sie verlassen hat. Sie leidet unendlich, und das mit viel Melodrama, denn sie will, dass jeder weiß, wie sehr ihr Herz blutet... Aber als sie dann beschließt, ihr Herz nie wieder zu verschenken, macht sie damit Platz in ihrem Herzen für die Geister.

 

Janina Ebert beschreibt Helenas Abenteuer mit viel Humor und hat mich öfter zum Lachen gebracht.

 

Zitat:
Warum wollte meine Mutter auch immer alles so genau wissen? Konnte sie nicht einfach akzeptieren, dass ihre 16-jährige Tochter ein Bild in ihrer Handtasche hatte? War das so ein abscheuliches Verbrechen? Andere Töchter rauchten, tranken oder nahmen Drogen, aber ich, ich missratenes Ding, trug Fotos mit mir herum! Ungeheuerlich!

 

Aber auch die Romantik kommt in diesem Buch nicht zu kurz! Tatsächlich ist es manchmal schon ein bisschen kitschig, aber ich fand das verzeihlich, denn die Liebesgeschichte ist einfach süß geschrieben.

 

Mir war Helena direkt sympathisch und ich fand sie sehr glaubhaft, gerade weil sie auch ihre Fehler und Schwächen hat. Im Laufe der Geschichte macht sie dann auch eine große Entwicklung durch, lernt viel über das Leben und wächst an ihren Erfahrungen, was mir gut gefallen hat.

 

Über die drei Geister will ich noch nicht zu viel verraten, nur soviel:

Da wäre einmal Oskar, ein Schriftsteller aus den 30er Jahren, mit dem Helena bald eine wunderschöne Freundschaft verbindet. Er wird für sie eine Art väterlicher Mentor. Als nächstes begegnet sie einem Geist, der ihr seinen Namen nicht nennen will - sie weiß nur, dass er jung gestorben ist und ebenfalls Schriftsteller war, seine Werke allerdings vor seinem verfrühten Tod nicht mehr veröffentlichen konnte. Sie spürt von der ersten Begegnung an, dass sie etwas ganz Besonderes mit diesem Namenlosen verbindet. Als letztes wäre da noch die Geisterfrau, die Helena fürchterliche Angst macht, denn sie bringt grausame Gedichte voller Schmerz und Selbsthass zu Papier.

 

Zitat:
Setze die Klingen ans Gesicht,
Schneide tief mit scharfen Messern,
Will mein Antlitz so verbessern,
Auf das der Spiegel von alleine bricht.

 

Ich fand sehr interessant, wie stark sich der Schreibstil verändert, wenn die unterschiedlichen Geister zu Wort kommen! Überhaupt hat mir der Schreibstil sehr gut gefallen.

 

Im Laufe der Geschichte passieren ein paar unglaubliche Zufälle, ohne die Helena in ihrer Suche nicht weiter gekommen wäre, was mich ein bisschen gestört hat - aber vielleicht kann man es auch damit erklären, dass hier das Schicksal am Werke ist, um Helenas Bestimmung zu erfüllen? Was mich allerdings wirklich ein wenig enttäuscht hat, war das Ende, denn das kam mir doch sehr erzwungen vor... Nicht so sehr die Auflösung, sondern die Art und Weise, wie sie erreicht wird.

 

Aber dennoch hat mir das Buch sehr viel Spaß gemacht und ich würde es auf jeden Fall weiter empfehlen, wenn man romantische Fantasy für junge Leser gerne mag.

 

Fazit:
Eines Nachts bringt die 16-jährige Helena im Halbschlaf eine perfekte Gedichtinterpretation zu Papier - und dabei scheint ihre Hand ganz von selber zu schreiben... Schnell stellt sie fest, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes drei Ghostwriter hat: zu früh verstorbene Schriftsteller, die sie auserwählt haben, ihre Werke aufzuschreiben, und ihr daher als Geister erscheinen und ihre Hand führen. Und bald schon muss sie sich fragen: kann es eine Zukunft haben, wenn man einen Geist liebt?

 

Ich fand die Geschichte sehr originell und abwechslungsreich: Liebe und Herzschmerz, Grusel, viel Humor, und ganz nebenher ist es auch ein wunderbares Jugendbuch, bei dem man der jungen Heldin quasi dabei zusehen kann, wie sie erwachsen wird. Es hat die ein oder andere Schwäche (so fand ich das Ende nicht ganz so glaubhaft), aber dennoch hat es mir sehr gut gefallen.

Quelle: http://mikkaliest.blogspot.de/2016/06/geisterzeilen-von-janina-ebert.html