Schreiben ohne Mühe - ist das sinnvoll?

So schreiben Sie mühelos ein tolles dickes Buch: Creative Writing - Kreatives Schreiben - Jürgen Müller

Vorweg muss ich leider direkt sagen, dass mich dieser Schreibratgeber nicht überzeugt hat. Vielleicht habe ich zuviel erwartet von einem Büchlein, das gerade einmal 43 Seiten umfasst, aber auch das eigentliche System, das hier vorgestellt wird, erscheint mir nicht sinnvoll.

Um den Ratgeber einmal Schritt für Schritt durchzugehen:

Nach einem motivierenden Vorwort beginnt Jürgen Müller damit, ein wahres Schreckenszenarium heraufzubeschwören, in dem der angehende Nachwuchsautor Stunden, Wochen, Monate mit mühsamer Recherche verbringen muss, bevor er endlich anfangen darf zu schreiben. Das zieht sich hin bis zu 7% des Buches, verschlingt also durchaus schon eines großen Teil des Ratgebers, bis die Erlösung kommt: Nein, das ist alles gar nicht notwendig!

Nun beginnt der Autor damit, sein System vorzustellen: wenn man jeden Tag zwei Stunden zum schreiben erübrigen kann, soll man sie aufteilen auf eine halbe Stunde Recherche, eine halbe Stunde Schreiben und eine Stunde Überarbeitung. Ja, genau - jede Seite wird direkt überarbeitet, bevor man am nächsten Tag die nächste Seite schreibt! Und der Autor ist überzeugt davon, dass so Stück für Stück ein Buch entsteht, das am Schluss keine weitere Überarbeitung brauchen wird.

Das erscheint mir, wie gesagt, überhaupt nicht zweckmäßig. Denn vieles lässt sich in meinen Augen nur im Kontext sinnvoll überarbeiten - was ist mit der Entwicklung des Spannungsbogens, dem Wachstum der Charaktere an ihren Erlebnissen und Ähnlichem? Es gibt so viele Elemente einer Geschichte, die man nicht an einer einzelnen Seite festmachen kann. Vielleicht stellt sich ja später heraus, dass die ganze Szene überflüssig ist oder nicht wirklich in den Fluss der Geschichte passt, was dann?

Der Autor ist jedoch sehr überzeugt von seinem System. So schreibt er zum Beispiel, dass man damit in einem Monat etwa 30 fertige Seiten mit insgesamt 6.000 Wörtern produzieren kann, räumt direkt ein, dass Stephen King im gleichen Zeitraum das Zehnfache schafft und verkündet dann stolz:

Zitat:
"Aber er hat im Gegensatz zu Ihnen noch nicht eine einzige Seite fertig! Sie sind ihm weit voraus. Bei ihm handelt es sich lediglich um eine Erstschrift, die er noch einmal vollständig überarbeiten, verbessern und kürzen muss, in der er ganze Kapitel neu schreiben und andere löschen wird."
Und das mache keinen Spaß, sondern sei Frust pur und überflüssig. "Schließlich sind Sie Schriftsteller und kein Deutschlehrer, der gern Aufsätze korrigiert."

Danach folgen ein paar Kapitel mit Tipps:

"Ideen am laufendem Band", in dem der Autor durchaus ein paar brauchbare Tipps gibt, die besonders für Neulinge bestimmt eine Hilfe sein können.

"Aller Anfang ist leicht", in dem es darum geht, wie man den Leser direkt am Anfang seines Buches packt. Auch hier sind brauchbare Tipps enthalten, sie werden aber eher oberflächlich behandelt und berücksichtigen nicht, dass nicht alles für alle Arten von Geschichten gleichermaßen gelten kann. Hier wird tatsächlich auf den Spannungsbogen eingegangen, aber wie gesagt: meiner Meinung nach lässt sich so etwas nur im Ganzen bearbeiten, nicht anhand einer aus dem Zusammenhang gerissenen Seite.

Die restlichen 40% des Buches enthalten als Bonus eine "Gratis-Abhandlung", die eigentlich das Kernstück des Buches sein sollte: "Eine einzige Überarbeitung macht's auch", worin zehn Punkte aufgelistet werden, die man bei der Überarbeitung jeder Seite berücksichtigen soll.

Zugegeben, auch hier sind tatsächlich einige brauchbare, grundlegende Tipps enthalten, aber vieles geht nicht über Allgemeinplätze hinaus oder berücksichtigt nicht, dass unterschiedliche Texte unterschiedliche Stilmittel benötigen.

Ich hatte beim Lesen immer wieder den Eindruck, dass es bei dieser Methode vor allem darum geht, um jeden Preis Mühe und Arbeit zu vermeiden. Zwar spricht der Autor ein paarmal davon, dass es um Qualität gehe und nicht um Quantität, aber Aussagen wie diese führen das ad absurdum:

Zitat:
"Sie brauchen sich gar nicht die Mühe machen, etwas an Qualität den obigen Romananfängen Gleichwertiges zu erschaffen und dabei zu verzweifeln."

Wenn ich mir die Kritiken auf Amazon so anschaue, scheint das Buch tatsächlich zum Schreiben motivieren zu können. Aber es hat schon seinen Sinn, warum Autoren wie Stephen King Zeit und Mühe in ihre Manuskripte investieren, und ich finde es daher fatal, Nachwuchsautoren zu suggerieren, man könne eine Abkürzung nehmen und damit mühelos etwas Gleichwertiges produzieren.

Quelle: http://mikkaliest.blogspot.de/2016/10/so-schreiben-sie-muhelos-ein-tolles.html