Ein Märchen vom Tod, der Liebe und der Hoffnung
Wenn mich jemand fragen würde "Wer ist eigentlich Nicholas Vega?", dann würde ich wohl antworten: ein unglaublich vielseitiger Autor, ein moderner Märchenerzähler, ein weiser Mann, der trotz einer gewissen Seelenverwandtschaft nicht in den Fußstapfen von Michael Ende oder Lewis Carroll wandelt, sondern seine eigenen literarischen Spuren hinterlässt.
Mit "Der Junge, der Glück brachte" gelang ihm ein wahrer Bestseller, und das definitiv verdient - aber auch seine anderen Bücher haben es verdient, beachtet zu werden, und "Das Mädchen, das Hoffnung brachte" ist ein echtes Kleinod des modernen Märchens.
Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sich der Autor leise vor seinen großen Vorgängern verneigt; so folgt Anna zum Beispiel einem weißen Kaninchen (oder zumindest einer Zeichnung mit zwei Kaninchenohren) in eine unterirdische Welt voller Wunder, aber auch voller Gefahren, und gelegentlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass Niemalsfern ebenso gut ein Teil Phantasiens sein könnte. Anna und ihre beiden Gefährten, der vom Leben gebeutelte Glückspilz und die freche "Pechmarie", könnten auch Dorothy, dem Blechmann, der Vogelscheuche und dem feigen Löwen die Hand reichen...
Aber das soll nicht heißen, dass hier irgendetwas schnöde abgekupfert ist! Bei aller Hommage bietet das Buch doch mehr als genug Eigenes, zutiefst Originelles. Anna ist nicht Alice, Atreju oder Dorothy - Anna ist Anna, und ihre Reise könnte niemand sonst genau so erleben. Sie ist eine sehr sympathische Protagonistin, mit der ich mitgelitten und mitgefühlt habe auf ihrer Suche nach ihrer Mutter, nach Liebe und Akzeptanz. Oft zeigt sie großen Mut und großes Mitgefühl.
Auch Luke mochte ich direkt. Obwohl er schon oft in Situationen geriet, die er nur knapp überlebte, und bei einer davon sogar seine Beine verlor, hat er sich Lebensmut und Optimismus bewahrt. Er ist auf der Suche nach einem Heilmittel für seine todkranke Nichte und dazu sogar bereit, sich selber zu opfern.
Zelda dagegen machte es mir etwas schwerer, und das sicher durchaus so gewollt: sie benimmt sich dreist, selbstsüchtig und überheblich, behauptet von sich selbst, dass sie einfach alles kann, und schockiert gerne durch ihr Verhalten. Erst so nach und nach entdeckt der Leser, dass dahinter mehr steckt als nur eine verwöhnte Göre.
Oft wirken Charaktere erst so, wie Märchenfiguren eben sind: durch und durch gut oder böse, schwarz oder weiß. Aber sie alle entwickeln im Laufe der Geschichte mehr Tiefe, und im Endeffekt ist keiner 100%ig so, wie er zunächst erscheint... Sie werden mit viel Liebe zum oft skurillen Detail geschildert, und sie sind alle lebendig und bleiben einem im Gedächtnis.
Durch die Geschichte zieht sich wie ein roter Faden das Thema Tod, denn die Welt im Keller ist untrennbar mit dem Schicksal des Kinderhospizes Niemalsfern verbunden - einem Ort, an dem todkranke Kinder in Würde und Liebe sterben können. Das klingt unglaublich deprimierend, aber tatsächlich ist es unglaublich hoffnungsvoll! Bis zum unerwarteten Ende zeigt einem der Autor immer wieder, wie sehr Menschen aus Güte und Mitgefühl über sich hinauswachsen können.
Und das liest sich meiner Meinung nach sehr spannend! Anna und ihre Gefährten müssen ein Hindernis nach dem anderen überwinden, sich ihren tiefsten Ängsten stellen und lernen, sich selbst und einander wirklich zu akzeptieren... Dabei geschehen immer wieder Dinge, die ich niemals erwartet hätte, und vor allem das Ende hat mich kalt erwischt und sprachlos zurückgelassen. Ich möchte noch nichts darüber verraten, aber es ist ein sehr intensives Ende, und eigentlich das einzig mögliche, richtige Ende.
Der Schreibstil ist märchenhaft und doch modern, und damit die perfekte Mischung für diese Geschichte.
Fazit:
Ein wunderbares modernes Märchen, in dem ein trauriges Thema zu einer hoffnungsvollen Botschaft wird. Es liest sich spannend, bewegend und manchmal richtig poetisch, und für Anna und ihre Gefährten wird das Abenteuer zu einer Reise durch die eigenen Ängste, Wünsche und Hoffnungen. Eine ganz klare Leseempfehlung!