Gelebte Geschichte

Ayleva: Die Reise im Licht des Nebels - Ina Tomec

Handlung:

 

Die junge Ayleva ist eine ganz normale Frau, die im Jahr 2000 ein ganz normales Leben führt. Aber als sie eines Tages beschließt, den Dachboden im Haus ihrer verstorbenen Eltern zu entrümpeln, macht sie eine unglaubliche Entdeckung: einen versteckten Raum voller alter Bücher, vergilbter Landkarten und Schriftstücke aus dem Mittelalter. Ayleva ist verwirrt und fasziniert. Was hat das zu bedeuten? In dieser Nacht hat sie merkwürdige Träume, und nicht nur das - auf einmal findet sie sich im Jahr 1224 wieder!

 

Auf mühsame Art muss sie lernen, ohne die modernen Annehmlichkeiten zu leben, in einer Zeit, in der Armut weitverbreitet ist und es einer Frau nicht ziemt, zu selbstständig oder intelligent zu sein. Und es dauert nicht lange, bis sie mitten hineingerät in politische Intrigen und die Machtkämpfe zwischen Adel und Klerus...

 

Meine Meinung:

 

Die Grundidee, eine moderne junge Frau ins 13. Jahrhundert zu schicken und dem Leser damit eine Identifikationsfigur zu bieten, die ihm die Historie näherbringt, hat mir sehr gut gefallen. Neugierig und wissbegierig saugt Ayleva die fremdartigen Eindrücke in sich auf, hinterfragt alles und lässt sich von dem Heilkundigen Ludger die unterschiedlichsten Dinge erklären, von der Funktionsweise eines Kalksteinofens bis hin zur Geschichte des Erzbischoffs.

 

Das ist lebendige Geschichte! Es ist offensichtlich, dass die Autorin alles bis ins kleinste Detail recherchiert hat, und in einem Gespräch verriet sie mir auch, dass es ihr das größte Anliegen war, dem Leser die Geschichte näherzubringen. "Ayleva" ist keiner dieser Romane, in denen die historischen Ereignisse nur der Aufhänger sind für eine Liebesgeschichte oder ein Familiendrama - im Mittelpunkt steht tatsächlich der Konflikt zwischen Graf Friedrich von Isenberg und Erzbischof Engelbert I.

 

Dementsprechend muss man als Leser auch ein gesundes Interesse daran mitbringen! Ich muss zugeben, es gab die ein oder andere Szene, in der mit der Kopf schwirrte vor lauter Namen und Jahreszahlen - was mussten die Menschen damals auch alle Friedrich, Engelbert oder Heinrich heißen? Aber die Autorin hat am Ende des Buches ein Personenverzeichnis angehängt, in dem man sowohl die historischen als auch die erfundenen Personen noch mal nachschlagen kann.

 

Manchmal habe ich mich ein wenig gewundert, mich welcher Mühelosigkeit der einfache Heilkundige Ludger Jahreszahlen und Ereignisse herunterspulte - ich könnte einem Zeitreisenden aus der Zukunft zum Beispiel nicht spontan erzählen, wann genau welcher Politiker in welches Amt gewählt wurde! -, aber die Autorin brachte im Gespräch das Argument, dass die Menschen damals ja nur wenig Ablenkung hatten von den Dingen, die um sie herum geschehen, und vielleicht war es tatsächlich so, dass man damals das Leben der Adligen in etwa so verfolgte, wie man sich heute mit Fernsehen und Internet berieseln lässt.

 

Dennoch hätte ich mir manchmal gewünscht, dass Ludger etwas lebendiger und mit mehr Bezug zu seinem Alltag berichtet hätte; gelegentlich klang er in meinen Ohren doch wie ein Lehrbuch.

 

Alyeva ist eine starke Frau, die weiß, was sie will. Durch ihre pharmazeutische Ausbildung weiß sie vieles über Nutzpflanzen, Wundheilung und Ähnliches und kann so wunderbar Ludger zur Hand gehen, dem Heilkundigen, der sie nach ihrer Zeitreise im Nachthemd zitternd im Wald gefunden und mit zu sich genommen hat. Sie erlebt in der Vergangenheit immer wieder Schreckliches, lässt sich aber davon nicht zerbrechen. Das ein oder andere Mal hat mich sehr gewundert, wie leicht sie eigentlich Traumatisches anscheinend wegsteckt, aber andererseits befindet sie sich in einer Zeit, in der solche Dinge leider zum Alltag gehörten, und passt sich wahrscheinlich einfach so gut an, wie es ihr möglich ist.

 

Sehr sympathisch fand ich, wie sehr Ayleva mitleidet mit den Armen, Kranken und Schwachen, und mit welcher Entrüstung sie auf Ungerechtigkeiten reagiert, die die Menschen jener Zeit meist klaglos hinnahmen, wie z.B. die Tatsache, dass der Graf im Luxus lebt und seine Untertanen kaum wissen, wie sie den Winter überleben sollen.

 

An Ludger hat mir gut gefallen, wie aufgeschlossen er Ayleva gegenübertritt. In einer Zeit, in der die Frau dem Manne untertan sein sollte, überrascht und erzürnt ihr Verhalten ihn zwar manchmal, aber meist lässt er ihr ihren Freiraum und unterstützt sie, wo er nur kann.

 

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen: einerseits Aylevas Leben im 13. Jahrhundert, und andererseits die Bemühungen ihres Freundes Randolf in der Gegenwart, Ayleva zurückzubringen. Ehrlich gesagt konnte ich den Geschehnissen in der Gegenwart relativ wenig abgewinnen; für mich lag die Spannung der Geschichte eindeutig in der Vergangenheit, denn ich wollte wissen, wie Ayleva die vielen Hindernisse und Gefahren bewältigt!

 

Allerdings flaute die Spannung für mich immer mal wieder etwas ab; ich fühlte mich sozusagen "ausgebremst" von den Szenen, in denen sehr gehäuft viel geschichtliches Wissen auf einen Schlag vermittelt wurde. Ich hätte dieses Wissen lieber ganz nebenher, nahtlos eingebunden in den Lauf der Geschichte, erfahren.

 

Der Schreibstil hat mir an sich gut gefallen; die Autorin schreibt lebendig und mit viel Liebe zum historischen Detail. Auch die Dialoge sind meist gut gelungen: die Menschen sprechen nicht zu modern, um unglaubwürdig für ihre Zeit zu werden, aber auch nicht zu altertümlich, um den modernen Leser zu verprellen. Bei manchen Dialogen hat mich aber gestört, dass die Menschen sich gegenseitig geschichtliche Details erzählen, obwohl sie beiden Gesprächspartnern bekannt sind - natürlich soll der Leser diese Details erfahren, aber das hatte für mich manchmal keinen natürlichen Fluss.

 

Fazit:

 

Die junge Ayleva verschlägt es aus dem Jahr 2000 plötzlich ins Jahr 1224, und da muss sie sich nicht nur mit Hunger, Kälte und mangelnden sanitären Anlagen auseinandersetzen, sondern auch mit politischen Intrigen und der Gefahr, als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen zu landen. Man muss meiner Meinung nach ein deutliches, ausgeprägtes Interesse an der Geschichte des 13. Jahrhunderts mitbringen, um dieses Buch zu genießen, denn der Leser wird mit unzähligen historischen Details überhäuft. Die Autorin hat viel Zeit und Mühe darauf verwandt, die Hintergründe gründlich zu recherchieren und einzubringen!

Quelle: http://mikkaliest.blogspot.de/2014/12/alyeva-die-reise-im-licht-des-nebels.html