Spannender Krimi mit taffer Heldin und einer Prise Humor
Das Buch kann mit Einfallsreichtum und Originalität punkten - die Autorin bringt viele frische, spannende Ideen ein und verbindet ganz unterschiedliche Themen zu einer interessanten Mischung: ein bisschen gemütlicher Landhaus-Krimi, wenn Lady Roberta Whitherspoon sich als Möchtegern-Detektivin versucht, ein bisschen dreckiger hardboiled-Krimi, wenn die taffe Cynthia von Katz die Gerechtigkeit in die eigene Hand nimmt... Dazu kommt noch ein schräger, manchmal böser Humor, der das Genre etwas auf die Schippe nimmt.
Zitat:
"»Ihr kriegt mich hier nicht lebend raus, ihr Schweine. Ich knalle jeden von euch ab.« Er riss die Gardine zur Seite und posierte animalisch mit entblößtem Oberkörper hinter dem Fenster. (...) Dreißig Sekunden später schleiften die Polizisten den besinnungslosen Fettwanst in Richtung Polizeifahrzeug."
Da passiert immer wieder etwas Neues, und in meinen Augen ist es definitiv kein Krimi nach Schema F!
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Cynthia: entschlossen, stur, trotzig, emotional, loyal, intelligent, mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit - und starker Neigung zur Selbstjustiz.
Wenn es um den Vergewaltiger eines minderjährigen Mädchens geht, konnte ich das durchaus nachvollziehen und habe ihr insgeheim applaudiert! Wenn sie jedoch als Detektivin eigentlich nur Beweisfotos für die Untreue eines Mannes machen soll, ihm aber stattdessen die Tür eintritt und ihm und seinem Geliebten die Nase bricht, finde ich das doch leiiiiicht übers Ziel hinausgeschossen... Aber sie ist überzeugt davon, dass sie das Richtige tut und für die Schwachen einsteht, insofern fand ich das zwar manchmal fehlgeleitet, aber verzeihlich - besonders, da sie in ihrer Kindheit am eigenen Leib erfahren musste, wie es sich anfühlt, Opfer zu sein. Sie war für mich eine sehr interessante Heldin.
Es gibt eine Vielzahl bunter, oft schrulliger Charaktere, aber mein Liebling war Jérôme: der ist zwar schon ein kleines bisschen ein wandelndes Klischee, aber ein sehr liebenswertes - er ist Transvestit, liebt Prosecco, fuchtelt oft mit den Hände, nennt Menschen "Schätzchen" oder "Schnuckelchen" und ist Frisör, und er hat ein großes, mitfühlendes Herz.
Manchmal ging mir allerdings alles zu schnell: obwohl die wichtigsten Charaktere sich erst seit wenigen Tagen kennen, vertrauen sie sich schon intime, schmerzliche Geheimnisse an, und auch das Verlieben geht im Turbogang. Besonders bei Cynthia konnte ich das nicht ganz nachvollziehen, denn sie verbringt eigentlich nur wenig Zeit mit dem Objekt ihrer Begierde, findet ihn anfangs sogar arrogant und kennt ihn im Grunde kaum.
Der Schreibstil zeichnet sich durch eine Vielzahl von ungewöhnlichen Bildern und Metaphern aus. Nicht alle fand ich stimmig oder passend, aber dafür fand ich viele auch großartig. Die Autorin hat auf jeden Fall eine ganz eigene "Stimme".
Zitat:
"Von der Terasse, jenseits des Fensters, reckte eine finstere Stille ihre Klauen in die Geborgenheit der von Kaminflackern güldenen Bibliothek."
Gelegentlich fand ich Formulierungen jedoch etwas dick aufgetragen, mit viel Herzschmerz und Drama, da wäre nach meinem Geschmack weniger mehr gewesen.
Zitat:
"Zuerst zaghaft, dann wie ein gebrochener Staudamm entließen die Worte und die Umarmung in Jason eine Fontäne von verschütteten Schmerzen in die Erleichterung seiner Tränen. Jede einzelne von ihnen erleichterte sein vernarbtes Herz um die Last eines Berges aus Schmerz und Pein."
Manchmal werden Geschehnisse, die gerade erst passiert sind, noch einmal wiederholt. Zum Beispiel erlebt Tante Roberta Aufregendes, als sie beschließt, nachts auf eigene Faust zu ermitteln - und erzählt genau das, was der Leser schon miterlebt hat, noch einmal ihrer Nichte. Das hätte man meiner Meinung nach abkürzen können.
Der ein oder andere Fehler ist Korrektorat und Lektorat entwischt - so wird von einem Mann mehrfach gesagt, er sei der Enkel eines Verstorbenen, aber dann ist der plötzlich sein Onkel. Auch ein paar fehlende Buchstaben/Wörter oder nicht ganz passende Zeitformen sind mir aufgefallen, aber das hält sich noch im Rahmen und stört den Lesefluss meines Erachtens nicht sonderlich.
Fazit:
Eine junge Polizistin steht vor der Wahl: ihre Karriere oder Gerechtigkeit für ein minderjähriges Vergewaltigungsopfer. Für sie gar keine Frage, und so findet sie sich wenig später als Privatdetektivin wieder und kann sich damit mehr schlecht als recht über Wasser halten. Als sie von einer ihr bisher unbekannten reichen Verwandten eingeladen wird, stellt sich auch das als Auftakt zu einem Fall heraus, den sie mit Star-Friseur Jérôme und Bulldogge Otto in Angriff nimmt.
Ich fand die Protagonistin sehr interessant (wenn auch etwas schnell dabei mit der Selbstjustiz) und die Geschichte einfallsreich und unterhaltsam. Der Schreibstil hat seine Höhen und Tiefen, wird aber durch seine kreativen Metaphern nie langweilig. In meinen Augen hätten 100 Seiten mehr dem Buch gut getan, denn manches geht sehr, sehr schnell (vor allem die Dynamik zwischen den Charakteren), aber auch so hat mir das Buch viel Spaß gemacht.