Le Cirque des Rêves

Der Nachtzirkus - Erin Morgenstern, Brigitte Jakobeit

Der Nachtzirkus kommt ohne Vorwarnung. Jeder beliebige Ort auf der Welt. Jede beliebige Zeit. Auf einmal ist er einfach da, über Nacht, wo er gestern noch nicht war, mit seiner Vielzahl von Zelten, deren Inhalte dem Zuschauer erscheinen wie wahrgewordene Träume. Ein Garten aus Eis. Ein Wolkenlabyrinth. In Flaschen eingeschlossene Erinnerungen. Illusionisten und Wahrsager und Akrobaten, die zu fliegen scheinen.

Le Cirque des Rêves: der Zirkus der Träume. Er öffnet mit Einbruch der Dunkelheit und schließt beim ersten Licht. Ein paar Tage bleibt er, dann ist er eines Morgens plötzlich verschwunden, spurlos. 'Rêveurs' nennen sich die Menschen, die eine unbestimmte Sehnsucht dazu treibt, dem Zirkus zu folgen, wohin auch immer er geht - eine Gemeinschaft von Träumern.

Als ich heute Nacht das Buch zuschlug, konnte ich diese Sehnsucht gut nachempfinden, denn auch ich spürte sofort eine Art schmerzlichen Verlustes, dass ich die Welt des Nachtzirkus' auf immer verlassen sollte.

Ja, ich bin ein Rêveur.

Es gibt Bücher, die werden von einer komplexen Handlung voller unerwarteten Wendungen vorangetrieben, und die Spannung peitscht einen sozusagen durch die Seiten. Und dann gibt es Bücher wie dieses, in deren zauberhafte Atmosphäre man sich bedingungslos fallen lassen muss. "Der Nachtzirkus" ist in der Tat wie ein auf Papier gebannter Traum, in dem die Dinge nicht immer chronologisch verlaufen oder auf den ersten Blick Sinn ergeben, aber immer einen Hauch von Magie verströmen.

Die schiere Originalität hat mich umgehauen. Alles ist möglich, und der Leser entdeckt immer wieder Neues am Zirkus der Träume. Der Klappentext wird dem Buch wirklich nicht gerecht, obwohl ich es schwierig finden würde, einen besseren zu schreiben!

Ich konnte das Buch wirklich kaum weglegen, denn ich fühlte mich wie ein Kind, das das erste Mal einen Jahrmarkt besucht und es kaum erwarten kann, alle Stände zu besuchen und alle Süßigkeiten zu kosten. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das Buch nicht für jeden Leser 'funktioniert', daher würde ich eine Leseprobe empfehlen.

Die Charaktere fand ich wunderbar. Sie sind so vielfältig und zauberhaft wie der Zirkus selbst, und auch die Nebencharaktere werden mit liebevollen Details geschildert. Die Liebesgeschichte steht für einen Großteil des Buches weniger im Zentrum, als man nach dem Klappentext erwarten würde, aber sie ist dennoch wunderschön und unverzichtbar für die Geschehnisse. Besonders gegen Ende bekommt sie immer mehr Bedeutung.

Ich habe das Buch hauptsächlich auf englisch gelesen und auch das Hörbuch im Original gehört. Für meine Rezension habe ich dennoch ein paar Kapitel auf deutsch gelesen, um die Übersetzung beurteilen zu können, und ich muss sagen: die ist zwar durchaus gut, aber dennoch geht ein Teil des sprachlichen Zaubers verloren. Denn Erin Morgenstern hat wirklich eine ganz außergewöhnliche literarische 'Stimme', die manchmal so schön ist, dass ich einen Satz einfach mehrmals lesen musste, und es ist schwierig oder eher unmöglich, so etwas in der Übersetzung perfekt zu bewahren.

Zitat:
"The striped canvas sides of the tent stiffen, the soft surface hardening as the fabric changes to paper. Words appear over the walls, typeset letters overlapping hand-written text. Celia can make out snatches of Shakespearean sonnets and fragments of hymns to Greek goddesses as the poetry fills the tent. It covers the walls and the ceiling and spreads out over the floor. And then the tent begins to open, the paper folding and tearing. The black stripes stretch out into empty space as their white counterparts brighten, reaching upward and breaking apart into branches.
»Do you like it?« Marco asks, once the movement settles and they stand within a darkened forest of softly glowing, poem-covered trees."

Das Hörbuch habe ich, wie gesagt, im englischen Original gehört und fand es einfach wunderbar. Jim Dale ist meiner Meinung nach die perfekte Stimme für diese Geschichte, denn er findet immer wieder neue stimmliche Nuancen für die verschiedenen Charaktere und vermittelt die Atmosphäre so großartig, dass sich ein echtes Gänsehaut-Gefühl einstellt. Normalerweise höre ich Hörbücher eigentlich nie mehrmals, aber dieses werde ich sicher irgendwann nochmal hören.

Fazit:
Vergesst den im Klappentext versprochenen Wettkampf auf Leben und Tod am besten erstmal. Auch die Liebesgeschichte verläuft dann doch ganz anders, als dieser erwarten lässt. Aber das heißt mitnichten, dass das Buch nicht gut wäre.

Es lebt weniger von seiner Handlung als von seiner dichten, im wahrsten Sinne des Wortes fantastischen Atmosphäre. Ob man es liebt oder hasst, hängt sicher davon ab, inwieweit man sämtliche Erwartungen ablegen und sich einfach in die Geschichte fallenlassen kann, aber in meinen Augen lohnt es sich, wenn man es tut. Ich war voll und ganz verzaubert und bin unglaublich beeindruckt von der atemberaubenden Originalität.

Quelle: http://mikkaliest.blogspot.de/2017/02/rezension-der-nachtzirkus-von-erin.html