Das letzte Zeichen

Das letzte Zeichen  - Gemma Malley, Friedrich Pflüger Die Grundidee klingt unglaublich spannend und originell:

Im Jahr 2065 ist die "Stadt" buchstäblich Evies ganze Welt. Ihr ist gar nicht bewusst, in was für einer klaustrophobischen, geistig und moralisch engstirnigen Gemeinde sie lebt - und wie sehr alle Bewohner tagtäglich einer grausamen Gehirnwäsche unterzogen werden. Der beinahe gottähnlich verehrte "Bruder" predigt, dass Menschen grundsätzlich böse geboren werden, und dass nur eine Operation, bei denen ihnen ein Teil des Gehirns entfernt wird, sie von diesem Mangel befreien kann. Und so wird bei jedem Bewohner der Stadt schon im Kindesalter diese Operation durchgeführt. Aber bei den wirklich Bösen wirkt angeblich noch nicht einmal das... Und so beobachten die Bewohner sich gegenseitig mit Misstrauen und Angst. Sie alle werden vom System in Kategorien von A bis C eingeteilt, je nachdem, wie "gut" oder "böse" sie sind. Und dennoch sind die Menschen dankbar, denn der Bruder beschützt sie vor dem Bösen, das vor den Toren der Stadt lauert.

Evie hat Albträume, die sie sich nicht erklären kann, und noch mehr leidet sie darunter, dass ihre Mutter jeden noch so kleinen Fehltritt als Hinweis darauf ansieht, dass Evie "böse" ist... Sie ist Lucas versprochen, dem Protegé des Bruders, aber es ist Lucas' wilder Bruder Raffy, den Evie heimlich liebt. Sie arbeitet für die Verwaltung der Stadt und ist zuständig dafür, Kategorie-Änderungen in das Computersystem einzupflegen - und eines Tages erfährt sie, dass ausgerechnet Raffy der Kategorie "K" zugeordnet werden soll... Der Kategorie für die unheilbar Bösen, die aus der Stadt verstoßen werden.

Trotz all diesem Potential plätschert die Geschichte lange lustlos vor sich hin, und so geht viel an Spannung verloren. In vielen Szenen, die eigentlich rasant und spannend sein könnten, wird das Tempo komplett ausgebremst, indem sich die Charaktere völlig unangemessen verhalten. Lebensgefahr? Ach, lass uns trotzdem erstmal ausführlich unsere Beziehungsprobleme ausdiskutieren, ist ja nicht so, als ob wir es eilig hätten. Da konnte ich oft nur mit dem Kopf schütteln.

Was mich auch immer wieder gestört hat: für mich war das ganze System hinter der Stadt, die Verwaltung und das Computerprogramm, auf dem alles beruht, unglaubwürdig und schlecht durchdacht. Da kamen immer wieder Dinge vor, wo ich dachte: das würde niemals so laufen. Zum Beispiel scheint es keinerlei Backups für das Computersystem zu geben, und der Bruder läuft ohne irgendeine Art von Personenschutz durch die Gegend, obwohl er weiß, dass er Feinde hat. Und auch andere Dinge machen keinen Sinn. Die Rebellen bereiten sich seit über 10 Jahren auf einen Putsch vor, aber als der Tag dann gekommen ist, haben sie anscheinend noch NICHTS vorbereitet und übertragen die wichtigen Aufgaben zwei Teenagern, die sie erst seit ein paar Tagen kennen.

Es ist sehr bezeichnend, dass die Autorin einen fundamentalen Teil der Handlung, nämlich die Idee, dass von einem bestimmten Teil des Gehirns Aggression und Gewaltpotential gesteuert werden, direkt am Anfang mit einem 1:1 übernommenen Wikipedia-Eintrag erklärt. Man hat fast den Eindruck, als hätte sie darüber hinaus nicht recherchiert.

Der Schreibstil ist streckenweise sehr einfach, und dann trieft er wieder vor Kitsch und/oder Pathos. Er hat mich leider nur wenig angesprochen. Außerdem werden manche Passagen wieder und wieder fast wörtlich wiederholt, wie z.B. ein Traum von Evie. Und das ist alles so schade, denn die Autorin hat eigentlich viele gute Ideen! Mit einer resoluten Überarbeitung könnte ein richtig gutes, spannendes, originelles Buch herauskommen.

Evie ist im Grunde ein interessanter Charakter, aber irgendwann ging mir immer mehr auf die Nerven, wie lange sie fraglos akzeptiert, dass sie böse ist - und auch danach erstmal die Meinung von jedem übernimmt, der irgendeine Form von Autorität ausübt. Erst ist sie nur ein Mitläufer, und dann ist sie gegen Ende auf einmal die coole, toughe Rebellin... Das war für mich nicht glaubwürdig.
Raffy war für mich einer der unsympathischsten männlichen Protagonisten, über die ich je gelesen habe. Er ist aggressiv, launisch, eifersüchtig, aufbrausend, kindisch... Und wenn er einmal ein Urteil über jemanden gefällt hat, bleibt er dabei - auch, wenn sich herausstellt, dass derjenige ihm unter großem persönlichen Risiko das Leben gerettet hat. Sein Bruder Lucas war vielleicht noch der komplexeste Charakter, den ich sehr interessant und vielversprechend fand. Anfangs erscheint er gefühlskalt und grausam, aber im Laufe des Buches stellt sich immer mehr heraus, dass das nur eine Maske ist.

Und natürlich gibt es eine Dreiecksgeschichte, die aus heiterem Himmel über den Leser hereinbricht - gerade eben hat Evie Lucas noch gehasst... Die Romantik hat mich ebenfalls nicht überzeugt und größtenteils kaltgelassen.

Der böse, böse Bruder ist manchmal geradezu eine Karikatur seiner selbst, völlig überzogen und fast schon wieder komisch. Und bei der kleinsten Bedrohung bricht er dann zusammen und winselt wie ein kleines Kind, wobei er nebenher noch Dinge ausplaudert, die ihn vor seinen Wachleuten ziemlich schlecht dastehen lassen.

Es gibt viele Charaktere, die so viel Potential haben... Aber nicht einer davon erfüllt für mich dieses Potential.

Fazit:
Ich wollte dieses Buch so gerne mögen! Die Grundidee ist originell, die Autorin hat viele tolle Ideen... Aber die Spannung verpuffte für mich immer wieder, vieles erschien mir nicht glaubwürdig, die Charaktere verschenken meiner Meinung nach ihr Potential, und auch der Schreibstil konnte mich nicht überzeugen. Leider, leider habe ich den Fehler gemacht, alle drei Bände der Trilogie auf einmal zu kaufen.